Rechte bei Arbeitsunfall, Wegeunfall, Berufskrankheit
1884 wurde (nach Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 1883) als 2. Säule der Absicherung von Arbeitnehmern die gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland eingeführt. In ihrer
Grundkonzeption besteht sie bis heute fort.
Träger sind die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Unfallkassen der öffentlichen Hand (Bund, Länder und Kommunen).
Wichtiges Merkmal der gesetzlichen Unfallversicherung ist, dass nur Arbeitgeber für die Beiträge
aufzukommen haben, auf den Arbeitnehmer also – anders als in anderen Sozialversicherungszweigen – kein Anteil entfällt.
Welche Aufgaben die Leistungsträger zu erfüllen haben, regelt § 1 des Siebten Buches
Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII):
Prävention
Rehabilitation
Entschädigung.
Während die Prävention in der Praxis nahezu ausschließlich Arbeitgeber oder auch Träger von
Kindergärten, Schulen, Werkstätten etc., gemeinnützige Vereine etc. betrifft, zählen die
Leistungsbereiche Rehabilitation und Entschädigung für viele Arbeitnehmer oder aus anderen
Gründen dem gesetzlichen Versicherungsschutz unterfallende Menschen (z.B. Schüler, Azubis,
Studenten, ehrenamtlich Tätige, pflegende Angehörige, Menschen mit Behinderung in Werkstätten, freiwillig selbst mitversicherte Unternehmer) zu den sehr streitanfälligen Bereichen des
Sozialrechts.
Die Frage, ob für eine bestimmte Tätigkeit, Verrichtung, „bürgerschaftliches Engagement“ oder
schlicht ein Eingreifen in einer Notsituation Versicherungsschutz besteht, ist anhand des konkreten Einzelfalles zu prüfen. Oft wird sich auch im Vorfeld durch Nachfrage bei der
Berufsgenossenschaft das Bestehen oder Nichtbestehen von Versicherungsschutz klären lassen.
Beratungstipp: Als Helfer in einer Notsituation könnte Ihnen seitens der Unfallkassen
entgegengehalten werden, Ihr Eingreifen sei lediglich als „Reflexhandlung“ erfolgt, nicht als
„zielgerichtete Hilfeleistung“. In diesem Fall sollten Sie sich frühestmöglich beraten lassen, um
eventuelle Beweise zu sichern oder die Angaben im Durchgangsarztbericht/Unfallmeldung einer
Prüfung zu unterziehen.
Folgende Risiken sollen durch den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung abgedeckt werden:
Entscheidend und häufig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzung ist in allen drei
Versicherungsfällen, dass zunächst alle sog. Wirkursachen des Unfalls und ihr Zurechnungszusammenhang mit dem Unfall ermittelt werden (Unfallkausalität), dann zu prüfen ist, ob die Arbeit/der Weg/die
Berufskrankheit als versicherte Wirkursache wesentlich ursächlich für einen Gesundheitserstschaden war und schließlich (ebenfalls wesentlich ursächlich) zu einem weiteren
Gesundheitsfolgeschaden führte.
Dies klingt einfacher, als es in der Praxis ist, denn in dieser doppelten Kausalitätsprüfung lauern viele Fallstricke.
So ist etwa bei Arbeitsunfällen immer wieder problematisch, ob eine frühere Erkrankung bestand, die zwar während der Arbeit wieder auftrat, sich aber nicht wegen der Arbeit (als wesentlicher
Ursache), sondern mehr oder weniger zufällig nur anlässlich eines normalen Arbeitsalltags während einer körperlichen oder geistigen Tätigkeit statt in der Privatsphäre im Betrieb ereignete (z.B. ein
Bandscheibenvorfall).
Man spricht in diesem Fall von "Krankheitsanlagen“ oder "inneren Ursachen“.
Hier eine Aussage zu treffen, welche Ursachen wesentlich überwiegen und andere Ursachen
verdrängen, ist typischerweise nur am Einzelfall zu klären.
Da die vom Bundessozialgericht entwickelten allgemeinen Grundregeln jedoch nicht verhindern, dass bei kritischer Betrachtung und abhängig vom Ergebnis medizinischer Gutachten (die einander nicht selten auch noch widersprechen) aus dem gleichen Sachverhalt höchst unterschiedliche Ergebnis „herausgelesen“ werden können, bleibt für den ratsuchenden Betroffenen oft ein erhebliches Prozessrisiko.
Auch die Frage, ob ein Unfallereignis noch „infolge“ der versicherten Tätigkeit eintrat, ob diese
Tätigkeit zwischenzeitlich unterbrochen worden war oder es sich um eine so genannte „gemischte Tätigkeit“ handelte, lässt sich im Einzelfall oft nur schwer beantworten.
Wichtiger Hinweis: Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus, § 7 Absatz 2 SGB VII. Dennoch kann in Einzelfällen durch extrem
unvernünftiges oder sorgloses Verhalten der ursächliche Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Unfallereignis ausnahmsweise entfallen.
Wichtiger Hinweis: Volltrunkenheit schließt den ursächlichen Zusammenhang aus. Bei sonstigem
Alkoholeinfluss kommt es wiederum auf die Umstände des Einzelfalles an. Wäre der Unfall in nüchternem Zustand bei derselben Sachlage wahrscheinlich nicht passiert oder der Betroffene gar nicht erst
in die fragliche Situation geraten, so ist der Alkoholkonsum in der Regel wesentlich ursächlich, nicht jedoch die versicherte Tätigkeit oder Verrichtung - mit der Konsequenz, dass kein
Versicherungsschutz besteht!
Welche Wege konkret versichert sind, grenzt § 8 Absatz 2 SGB VII näher ein:
Aber wann befindet sich jemand noch „auf dem unmittelbaren Weg“ oder weicht von diesem ab?
Spektakuläre Einzelfälle sind immer wieder aus Presse und Rundfunk zu erfahren. So sollte
beispielsweise niemand rechts ranfahren, um auf dem Weg zur Arbeit Erdbeeren zu kaufen (außer vielleicht, der Verkäufer bringt die Ware ans Auto des nur für eine kurze Zeit haltenden Kunden), schon
gar nicht als Linksabbieger die Gegenfahrbahn überqueren, wenn die Früchte auf der anderen Seite locken …
Nicht mehr versichert sind Wege im öffentlichen Verkehrsraum, die allein oder überwiegend
eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgen (im Erdbeerfall spielt es keine Rolle, ob die lieben Kollegen mitversorgt werden), sofern die Unterbrechung nicht von nur geringfügiger Dauer ist.
Bestimmte durch die versicherten Tätigkeit entstandene Krankheiten sind als sog. Listenkrankheiten, § 9 Absatz 1 SGB VII, oder zwar noch nicht in die Liste aufgenommene, aber nach
neuen medizinischen Erkenntnissen als sog. „Wie-Berufskrankheiten“ anzusehende Krankheiten, § 9 Absatz 2 SGB VII, vom Versicherungsschutz umfasst.
Nicht in der Liste aufgeführte Krankheiten begründen im Übrigen grundsätzlich keine Ansprüche gegenüber der Berufsgenossenschaft.
Auch beim Versicherungsfall "Berufskrankheit" stellt sich in der Praxis die Frage der Ursächlichkeit zwischen versicherter Tätigkeit und dem Entstehen der Krankheit als der Hauptstreitpunkt dar. Oft
liegen die durch eine Tätigkeit verursachten körperlichen Einwirkungen, etwa bei früherer Asbest-Exposition, viele Jahre zurück, was zu Beweis- und Diagnoseunsicherheiten führt.
Ist ein Versicherungsfall eingetreten, gewähren die Leistungsträger umfangreiche Maßnahmen der medizinischen und beruflichen Rehabilitation.
In manchen Details sind die Leistungen der Unfallversicherung für den Leistungsempfänger gegenüber den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung vorteilhafter (etwa fehlende Zuzahlungen, höheres Verletztengeld), was die Einstufung eines Unfalles als Arbeitsunfall relevant macht.
Bleibende Minderungen der Erwerbsfähigkeit (MdE) werden durch Rentenzahlungen entschädigt.
Auch die Feststellung der Höhe der MdE ist häufig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen, denn erst ab einer MdE um wenigstens 20 % besteht ein Anspruch auf Verletztenrente.
Beratungstipp: Immer wieder kommt es bei Leistungsempfängern zu Irritationen darüber, dass ihnen ein höherer Grad der Behinderung (GdB) zuerkannt wird als eine
MdE. Dies begründet sich in den unterschiedlichen Bezugspunkten der „Messwerte/Prozentsätze“, die wiederum aus der Systematik des deutschen Sozialrechts folgt.
Der GdB sichert verschiedene Teilhabeeinschränkungen ab, der Umfang der Erwerbsminderung im Rentenrecht bezieht sich auf das tägliche Restleistungsvermögen, die MdE im Unfallversicherungsrecht gleicht allgemein den Verlust an Erwerbsmöglichkeiten aus und ist auch anders zu bewerten als der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) im Versorgungsrecht …
In der persönlichen Beratung wird abzuklären sein, inwieweit medizinische Fakten auch in dem jeweils anderen Bezugssystem möglicherweise dennoch zu berücksichtigen sein könnten.
Wichtiger Hinweis: Auch bei privaten Bauvorhaben besteht unter bestimmten Voraussetzungen
Versicherungspflicht und Versicherungsschutz bei der Berufsgenossenschaft Bau! Ich empfehle
jedem privaten Bauherrn dringend, sich den sehr informativen Flyer auf der Internet-Seite der BG Bau downzuloaden oder persönlich Kontakt zur BG aufzunehmen, um sich rechtlich abzusichern!
Führt ein Arbeits- oder Wegeunfall oder eine Berufskrankheit zu einer Behinderung oder einer drohenden Behinderung, werden neben den Leistungen der medizinischen Rehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben auch Sozialleistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erbracht. Lesen Sie hierzu bei Interesse weitere Infos unter dem Stichwort Rechte der Menschen mit Behinderung.
Wichtig ist, dass Teilhabeleistungen nach dem SGB VII nicht vom Vorliegen einer wesentlichen Behinderung (wie sie für den Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB XII - Sozialhilfe - erforderlich ist) abhängig sind, sondern eine Behinderung im Sinne der Definition des § 2 Absatz 1 SGB IX genügt:
- körperliche, geistige oder seelische Abweichung vom typischen Zustand des jeweiligen Lebensalters für mindestens 6 Monate
- und dadurch bedingter Teilhabebeeinträchtigung.