Rechte aus der Kinder- und Jugendhilfe
"Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft."
Diese ersten drei Sätze des § 1 Absatz 1 und 2 Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) weisen bereits die Spannungsfelder des Kinder- und Jugendhilferechts auf:
Zum Leistungsangebot der Kinder- und Jugendhilfe gehören
- Erziehungsberatung
- Soziale Gruppenarbeit
- Erziehungsbeistand, Betreuungshelfer
- Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH)
- Erziehung in Tagesgruppe,
- In Vollzeitpflege
- oder Heim bzw. betreuten Wohnformen
- sowie die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung.
Bis auf wenige Ausnahmen, etwa die vorgenannte Eingliederungshilfe bei festgestellter seelischer Behinderung des Kindes, sind die eigentlichen Leistungsberechtigten der Kinder- und Jugendhilfe die Eltern (oder Erziehungsberechtigten)!
Das mag verwundern, denn das SGB VIII regelt ja die „Kinder- und Jugendhilfe“, fügt sich aber in das Grundkonzept ein, denn
Daher wird das SGB VIII auch als „Elternhilfegesetz“ bezeichnet.
Zu den sehr umfangreichen BERATUNGSPFLICHTEN des Jugendamtes erhalten Sie durch Anklicken des Stichwortes weitere Informationen.
Leistungsberechtigte also sind die Eltern, erbracht wird die Leistung dagegen häufig „am Kind“.
Zum Ausgleich sind Kinder und Jugendliche zwingend an dieser Leistungserbringung zu beteiligen, § 8 SGB VIII, denn eine Hilfe gegen den Willen des Kindes könnte letztlich das Erziehungsdefizit
verstärken, statt es zu mindern.
Ob und welche Rechte Kinder und Jugendliche haben, wenn sie mit der Form einer Leistung nicht einverstanden sind, kann im Einzelfall schwierig zu beantworten sein, denn als Minderjährige sind sie der
gesetzlichen Vertretung/elterlichen Sorge ihrer Eltern gem. § 1626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) weitestgehend untergeordnet.
Immer aber haben sie das eigene subjektive Recht, sich selbst, erforderlichenfalls auch ohne Kenntnis der Eltern, an das Jugendamt zu wenden, § 8 Abs.2 SGB VIII!
Seelisch behinderte Kinder haben gem. § 35a SGB VIII Anspruch auf Eingliederungshilfe, den sie ab Vollendung des 15. Lebensjahres auch selbst geltend machen können, § 36 Abs.1 SGB I.
Schwierigkeiten bereitet in der juristischen Praxis die Abgrenzung zwischen Leistungen der Schule und der Kinder-/Jugendhilfe. Gleiches gilt für Kinder/Jugendliche mit Behinderung im Verhältnis zu Eingliederungshilfeleistungen der Sozialämter.
So sind die Themenbereiche Schulbegleitung, Integrationshelfer, inklusives Lernen vermehrt Gegenstand gerichtlicher Verfahren.
Im Bereich der Frühförderung behinderter oder von Behinderung bedrohter, noch nicht eingeschulter Kinder ist allerdings für das Bundesland Schleswig-Holstein ausschließlich der örtliche Sozialhilfeträger zuständig, § 57a Jugendförderungsgesetz S-H.
Steht zwischen dem Jobcenter und dem Jugendamt im Streit, ob ein junger Mensch erwerbsfähig ist, muss zunächst Grundsicherungsleistung („Hartz IV“) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch –
Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) geleistet werden, bis die Erwerbsfähigkeit festgestellt ist. Nicht erwerbsfähig junge Menschen ab dem 15. Lebensjahr erhalten Leistungen der Jugend- oder
der Sozialhilfe.
Aber auch erwerbsfähige junge Menschen können neben den berufs-/ausbildungsbezogenen Leistungen, die in der Regel vom Jobcenter oder der Bundesagentur für Arbeit erbracht werden, Leistungen der Jugendhilfe, etwa Unterhalt oder Krankenhilfe, erhalten. Stets bleibt die sozialpädagogisch/erzieherische Begleitung auch der Jugendlichen in Ausbildung Aufgabe der Jugendämter.
Besonders das im Gesetz vorgesehene Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten, §§ 5 und 36 SGB VIII, wird in der Praxis der Jugendämter (meist aus Kostengründen) mit großer „Zurückhaltung“
betrachtet.
Beratungshinweis: Sollten Sie eine pädagogisch-erzieherische Hilfe durch einen freien Träger wünschen, die das Jugendamt ablehnt, lohnt sich
häufig eine kritische Überprüfung des Versagungsbescheides. Bevor Sie jedoch ohne Bewilligung oder Kostenzusage eine Hilfe selbst beschaffen, sollten Sie in jedem Fall anwaltliche Beratung in
Anspruch nehmen, denn den Jugendämtern steht ein erheblicher Ermessensspielraum und eine sogenannte „Einschätzungsprärogative“ zur Seite, die gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist.
Schlimmstenfalls werden Ihnen die Kosten der selbstbeschafften Hilfe nicht erstattet.
Anders als unter dem Stichwort Rechte der Menschen mit Behinderung erwähnt, führen im Kinder- und Jugendhilferecht die §§ 14, 15 SGB IX mit den dort genannten Fristen auch bei Vorliegen oder Drohen
einer seelischen Behinderung nicht zu dem gewünschten Ziel, den Leistungsträger „unter Zugzwang“ zu setzen, denn gem. § 15 Abs.1 S. 5 SGB IX führen abgelaufene Fristen ausnahmsweise nicht zu einem
Selbstbeschaffungsrecht für Kinder- und Jugendhilfeleistungen.
In aller Regel sollten Ihre Wünsche aber bereits im Rahmen der Hilfeplanung gem. § 36 SGB VIII (psycho-sozial/sozialarbeiterische Einschätzung einer Fachkraft des Jugendamtes, Hilfeplangespräch, Hilfeplanung und Aufstellung eines Hilfeplans) für die Hilfen zur Erziehung und die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche Berücksichtigung finden.
Wenn sich Eltern allerdings einer Hilfeplanung vollständig verweigern, laufen sie Gefahr, aus Sicht des Jugendamtes das Wohl ihres Kindes zu gefährden, was bis zu einer Einschaltung des Familiengerichts durch die Behörde führen kann. Fordern ohne mitzuwirken wird Sie auch mit anwaltlicher Hilfe nicht weiterbringen.
Im Kinder- und Jugendhilferecht werden neben den Eltern/Erziehungsberechtigten/gesetzlichen Vertreter auch Kinder und Jugendliche bzw. junge Volljährige (wer was davon ist, regelt § 7 SGB VIII) zu den Kosten bestimmter Hilfen herangezogen. Näheres regeln §§ 90 folgende SGB VIII.
Beratungstipp: Da es bei dieser Kostenbeteiligung stets um "Zumutbarkeit, Erforderlichkeit, Zweckgefährdung, besondere Härte, Angemessenheit" geht, was Juristen als unbestimmte Rechtsbegriffe bezeichnen, lohnt sich hier spätestens im Widerspruchsverfahren die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe, um den Kostenbescheid zu überprüfen.